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Meinung

Italiens Ruf nach europäischer Solidarität

Die Flüchtlingskrise war nie weg!

Meinung

Italiens Ruf nach europäischer Solidarität

Die Flüchtlingskrise war nie weg!

Über das Projekt

Italien fühlt sich von Europa mit „seinen“ Flüchtlingen ziemlich im Stich gelassen. Nach dem Motto: Euer Problem, wenn ihr am Mittelmeer liegt und die Menschen euch nun mal zuerst erreichen. Ihr müsst euch kümmern, so sind nun mal die Regeln.

Anfang Juli 2017 wollte sich die italienische Regierung das nicht mehr bieten lassen und hat damit gedroht, Flüchtende in Zukunft nicht mehr an Land zu lassen. Eine Drohung, die ebenso fatal wie verständlich ist. Ein Hilferuf, den ich als Vertreterin im ARD-Studio Rom so kommentiert habe:

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Datum

Juli 2017

Kommentar zur Flüchtlingskrise

Die Flüchtlingskrise ist zurück – so heißt es jetzt oft, angesichts der wachsenden Zahl von Menschen, die auf dem Mittelmeer aus ihren klapprigen Booten gerettet werden. Dabei war sie nie weg! Es ist nur einfacher, das auszublenden, wenn das Elend nicht vor der eigenen Haustür passiert. Italien kann das nicht. Denn aufgrund seiner geografischen Lage ist das Land zum Haupteingang der Festung Europa geworden – wieder einmal. Und jetzt, wo in besonders dramatischen Wochen bis zu 12.000 Menschen gleichzeitig ankommen – nutzt die Regierung das Momentum, um den Fokus auf ein Problem zu legen, das in Italien immer präsent war und nur noch drängender wird. In Dauerschleife zeigt das italienische Fernsehen Bilder erschöpfter Menschen, die sich auf Rettungsboote quetschen, fast täglich melden die Nachrichten, wie viele Männer, Frauen, Kinder auf dem Weg ertrunken, verdurstet, erstickt sind. Und für die, die es schaffen, geht es in Italien elendig weiter. Zwar werden die meisten mittlerweile in Hotspots registriert, während sie dann aber eine gefühlte Ewigkeit darauf warten, bleiben zu dürfen – oder auch nicht, geschieht das unter teils schlimmsten Bedingungen. In den Großstädten schlafen sie auf blankem Boden – die regulären Plätze reichen bei weitem nicht. Ohne die vielen Freiwilligen, die sich kümmern, wäre die Not noch viel größer. In dem Land, das sich von der Krise nie wirklich erholt hat. Und so gibt es mittlerweile auch die andere Seite – einen Verteilungskampf, der in Italien unter den Ärmsten entbrannt ist und den sich Populisten am rechten Spektrum zunutze machen wollen – zumal jetzt, kurz vor den Wahlen, die spätestens im Frühjahr anstehen. Da scheint es vielen populärer, mehr Abschiebezentren auf den Weg zu bringen und die Rückführungen zu beschleunigen.

Vor diesem Hintergrund ist der Hilferuf zu sehen, den die italienische Regierung in diesen Tagen in Richtung Europa sendet – vorgetragen auf allen politischen Bühnen, die sich bieten. Ein erneuter Appell an Solidarität und Verantwortungsbewusstsein, aber auch an verbindliche Vereinbarungen. Daran, dass die EU-Staaten dem Land bislang nur einen Bruchteil der Menschen abgenommen hat, die sie vor zwei Jahren zugesagt hatten. Daran, dass die Rettungsboote im Mittelmeer zwar unter internationalen Flaggen fahren, die Menschen aber alle in Italien stranden. Sie gar nicht mehr an Land zu lassen, ist eine Drohung, der Italien noch keine Taten hat folgen lassen und die Menschenrechtsorganisationen zu Recht kritisieren. Und auch mit dem vehementen Widerstand der europäischen Nachbarn in dieser Frage war zu rechnen. Aber scheinbar braucht es diesen Theaterdonner, denn von weniger lassen sich die Nachbarländer nicht beeindrucken. Einigen – so war es auch heute wieder in Rom und im estnischen Tallinn zu beobachten– kann man sich nur auf Minimalkonsens. Auf Nebenschauplätze, wie die Forderung Italiens, schärfere Regeln für Rettungseinsätze von Hilfsorganisationen zu etablieren. Darauf, mehr Geld in die Bekämpfung von Fluchtursachen und den Grenzschutz zu investieren oder auch dem Land ein paar hundert Migranten mehr pro Jahr abzunehmen, wie es die Bundesregierung jetzt getan hat. Die große gemeinsame Linie in der Flüchtlingskrise jedoch, mit der die Staaten der EU eine der wichtigsten Fragen unserer Zeit angeht, die ist längst nicht in Sicht.