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Meinung

Reformstau im Herzen der Eurozone

Italien nach dem Verfassungsreferendum

Meinung

Reformstau im Herzen der Eurozone

Italien nach dem Verfassungsreferendum

Über das Projekt

Für den italienischen Ministerpräsidenten wäre es die "Mutter aller Reformen" geworden, doch die Mehrheit der Italiener sah das anders und hat bei einem Referendum gegen die Verfassungsreform gestimmt. Ein klares "Nein" nicht nur zu Matteo Renzis Herzensprojekt, sondern auch eine klare Abfuhr für den Staatschef selbst. 
Das habe ich für die "Themen der Woche" im Deutschlandfunk so kommentiert: 

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Datum

Dezember 2016

Kommentar zum italienischen Verfassungsreferendum

Die ökonomische Apokalypse ist erst einmal nicht eingetreten, allen düsteren Prophezeiungen zum Trotz. Nach dem „Nein“ der Italiener zum Referendum sind Europas Börsen nicht in Panik verfallen, sie hatten das Worst-Case-Szenario schon mit eingepreist – ganz so wie das „Nein“ der Briten zur EU. Das gibt jedoch gerade genug Zeit,  um kurz erleichtert aufzuatmen: Italien ist in die nächste multiple Krise geraten und wird damit wieder einmal zum Krisenfaktor für Europa. Dabei wäre das vermeidbar gewesen, und das ist besonders bitter.

Denn am Sonntag hat das italienische Volk nicht nur die Reform ihrer Verfassung abgelehnt, sondern ihren Regierungschef abgestraft, der das Referendum zu seiner ganz persönlichen Schicksalsentscheidung stilisiert hatte. Und das ohne Not. Der Volksentscheid war nicht obligatorisch, sondern Renzis Versuch, den Geburtsfehler seiner Amtszeit wiedergutzumachen. Er hat nie eine Wahl gewonnen, sondern seinen Vorgänger in einer internen Palastrevolte aus dem Amt geputscht. Nun hat er über Bande gespielt und sich verzockt. Er wollte nicht sehen, wie deutlich die Stimmung gegen ihn bereits gekippt war – auch in der eigenen Partei. Matteo Renzi ist an seiner Hybris gescheitert und hat das Land mit nach unten gezogen. Ein fataler Fehler, der sich nun gleich dreifach rächt.

Erstens: Die Chance, den aufgeblähten Politikbetrieb zu verschlanken und die Gesetzgebung zu beschleunigen, die den italienischen Staat lähmt, ist erst einmal vertan. Denn auch wenn Zweifel an der Renzi-Reform durchaus angebracht waren, so ist das, worum es in der Sache ging während der Kampagne in den Hintergrund geraten. Der Inhalt wurde übertönt vom Geschrei derjenigen, die lediglich den politischen Gegner loswerden wollten, den parteiinternen Konkurrenten, den unliebsamen Regierungschef. Das liegt nicht einzig an Renzis personalisierter Kampagne. Nicht nur in Italien antworten Wähler nicht auf die Frage, die ihnen gestellt wird, sondern sie stimmen gegen das, was sie nicht wollen.

Zweitens wurden  mit dem „Nein“ zur Verfassungsreform auch alle anderen Reformen erst einmal auf die lange Bank geschoben. Damit ist Italien politisch hoch fragil – ohne Regierung und ohne gültiges Wahlrecht. Zwar haben die Italiener darin eine gewisse Routine und doch ist es fatal, dass sich das Land nun wieder einmal durchwurschteln muss, mit einer Übergangsregierung, die vor allem mit sich selbst beschäftigt sein wird. Und das nach zweieinhalb Jahren, in denen das Land gezeigt hat, dass es sehr wohl reformierbar ist . Was ihm Glaubwürdigkeit eingebracht hat. Auch wenn Renzi – als Rottamatore, als Verschrotter angetreten – längst nicht alles umgesetzt hat, was er sich vorgenommen hatte, auch, wenn sich die Wirtschaft nur in homöopathischen Schritten erholt: Die mühsam errungene Glaubwürdigkeit steht jetzt auf dem Spiel. Und mit ihr die Stabilität der italienischen  Banken. Die dringend benötigte Restrukturierung des Finanzssektors war eng verknüpft mit der Reform, für die der Startschuss nun ausgeblieben ist. Die Investoren halten sich bereits zurück, kaum einer will den Banken frisches Geld geben. Eine brenzlige Situation vor allem für Italiens Kriseninstitut Nummer eins „Monte dei Paschi di Siena“, das nun darauf hofft, von der EZB mehr Zeit zu bekommen für seinen Rettungsplan. Doch die Notenbank zögert, gleichzeitig verlängerte Mario Draghi in dieser Woche sein umstrittenes Anleihekaufprogramm. Ein Krisensymptom auch das.  Die Angst vor wackelnden Banken ist nicht vom Tisch.   

Unsichere Zeiten, in denen Italiens Populisten auf ihren großen Einsatz warten – und das ist die dritte fatale Folge des Referendums. Sie sind nicht nur die Profiteure der Krise, sie haben sie auch maßgeblich mit ausgelöst. Die Lauten rund um Beppe Grillo und seine Fünf-Sterne-Bewegung, die das Establishment ablehnen Sie zielen auf die Frustrierten im Land, auf diejenigen, die sich wirtschaftlich abgehängt und politisch ignoriert fühlen. Gemeinsam mit den Rechtsaußen der Parteienlandschaft erreichen sie so in Italien laut Umfragen fast die Hälfte der Stimmen. Auch, wenn sie untereinander nicht koalitionsfähig sind, so könnten sie im Falle von Neuwahlen gefährlich werden. Nicht nur für das Land selbst. Italiens Populisten phantasieren bereits von der Rückkehr zur Lira. Und so wird sich schon bald zeigen, was das gescheiterte „Renzirendum“ bedeutet, für den Euro, die Eurozone und damit für Europa. Vielleicht ist es kein Weltuntergang, aber ein Etappensieg des Populismus ist es allemal.