Reportage
Allianz der Populisten
Italien vor den Europawahlen
Reportage
Allianz der Populisten
Italien vor den Europawahlen
Über das Projekt
Die Stimmung ist auf dem Nullpunkt als sich Die Linke im Juni 2018 zu ihrem Bundesparteitag in Leipzig trifft. Monatelang haben Fraktionschefin Sahra Wagenknecht und Parteichefin Katja Kipping ihren Machtkampf öffentlich ausgetragen und um den künftigen Kurs in der Flüchtlingspolitik gestritten. Und so hat sich die Parteispitze vorgenommen, endlich ein Signal der Geschlossenheit zu senden. Doch das geht gründlich nach hinten los.
Allianz der Populisten
„Darf ich dich kurz umarmen – für Europa?“ Stutzen, Lachen, aber auch Kopfschütteln. Nicht alle Passanten auf der Piazza Maggiore in Bologna lassen sich auf diesen ungewöhnlichen Wahlkampf ein. Wer aber stehen bleibt, wird gedrückt und bekommt einen Werbezettel in die Hand, von Volt, einer jungen Partei, die vor allem eines ist: proeuropäisch und die es damit in Italien nicht leicht hat.
„Natürlich gibt es viele Italiener, die gegen Europa sind. Die europäischen Institutionen haben sie ja auch enttäuscht und viele Versprechen nicht gehalten. Im Moment ist die EU-Politik sehr weit weg von den Bürgern. Wir wollen dafür sorgen, dass sie wieder enger zusammenrücken.“

In Bologna ganz vorne mit dabei ist Gillo Baldazzi, 36 Jahre alt, Unternehmensberater und wie seine Mitstreiter bei Volt kein Berufspolitiker. In allen acht Ländern, in denen die neue Partei antritt, können Bürger sie für dasselbe Programm wählen. Ein 200 Seiten starkes Manifest für mehr Europa auf allen Ebenen. Kleiner Schönheitsfehler: Im Gründungsland Italien darf Volt gar nicht antreten.
Hier hätten wir dafür 150.000 Unterschriften gebraucht – das ist absurd. In Deutschland sind es nur 4.000. Daran sieht man: Die Parteien, die in Italien gerade an der Macht sind, wollen auf jeden Fall den Status quo verteidigen.
Neue Fraktion der Rechtspopulisten im EU-Parlament
Und das klingt in der italienischen Koalition aktuell so: Schuld sind entweder die Bürokraten in Brüssel oder „die Ausländer“. Bei Matteo Salvini von der rechten Lega reicht die Klaviatur von europafeindlich bis nationalistisch. Und die „Festung Europa“ will er nicht länger alleine verteidigen, sondern er schmiedet bereits Allianzen. Für eine neue Fraktion der rechtspopulistischen Parteien im Europaparlament. Enger zusammengerückt sind die am Wochenende bei einer gemeinsamen Demo in Mailand. Ein erstes Treffen gab es bereits Anfang April in Salvinis Heimatstadt ganz im Norden Italiens.
Gastgeber Matteo Salvini auf der Bühne neben Jörg Meuthen von der AfD und den Chefs der „Dänischen Volkspartei“ und der „Wahren Finnen“. Mit ihnen scherzt er, über die Presse lästert er, Brüssel attackiert er.
Die Europäische Union repräsentiert einen Alptraum, keinen Traum. Und deshalb bin ich sehr froh, dass an diesem sonnigen Montagmorgen in Mailand Freunde gekommen sind, um neuen Saft, neues Blut, neue Hoffnung, neue Träume zu bringen. Am Tisch sind keine Extremisten und Rückwärtsgewandte. Diese ermüdende kleine Debatte Rechts-Links, Faschisten-Kommunisten, darauf habe ich keine Lust und darauf haben auch die 500 Millionen Einwohner Europas keine Lust.
„Prima gli italiani!“, Italiener zuerst!
Diese Internationale der Nationalisten, das ist natürlich ein Paradoxon. Um das einzudämmen, muss man dafür sorgen, dass Europa funktioniert. Allerdings gibt es ein symmetrisches Paradoxon auch bei den Pro-Europäern, denn auch die sagen: Die EU funktioniert so nicht. Doch sie tun dagegen nichts.
Fehlende Solidarität der EU-Nachbarn
Salvini ist eine Bestie! Politisch gesehen. Mit sehr einfachen und klaren Botschaften. Das ist das Geheimnis seines Erfolgs. Salvini ist ein Anführer, sehr viel mehr als die Konkurrenz. Aber nicht, weil die Italiener per se einen starken Mann an der Spitze suchen. Vielmehr sind die Parteien in Italien enorm schwach. Die Parteienlandschaft ist extrem zersplittert. Und da sucht man nach einem Angelpunkt, einem Halt durch einen starken Anführer.
Versäumnisse der letzten 20 Jahre spürbar
Das Grundeinkommen hilft nur den ärmsten Familien, aber neue Arbeitsplätze werden dadurch nicht geschaffen. Dafür brauchen wir Investitionen, in den Verkehr, die Modernisierung der Industrie. Unser Land hat es für mindestens zwanzig Jahre versäumt zu investieren und die Konsequenzen sind jetzt überall deutlich.
Geld, das Italien gar nicht hat
„Salvini, das ist quasi eine faschistische Regierung“
Sagen wir mal so: Salvini, das ist quasi eine faschistische Regierung und das in einem Land, in dem Faschismus per Verfassung verboten ist. Das ist ja fast schon zum Lachen. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, das kommt alles zusammen in dieser einen Person.
Vom Verschleiß der Warnungen
Es gibt einen Anstieg verschiedener Intoleranzen, aber meiner Meinung nach ist der noch sehr marginal. Die neofaschistischen Parteien bekommen kaum Stimmen und die Rechte ist zwar rechts, aber noch im demokratischen Spektrum. Innerhalb der Lega sind zwar faschistische Elemente, aber auch die sind geringfügig. Auch zu Berlusconis Zeiten wurde immer wieder vor Faschismus gewarnt, doch auch nach all den Jahren ist Italien Demokratie geblieben. Deshalb glauben die Italiener die Warnungen nicht mehr. Je mehr man diese Waffe benutzt, riskiert man, dass sie nicht mehr funktioniert, wenn man sie wirklich braucht.
Die Lega punktet gegen Links
„Radikal? Mamma mia, das macht einem ja Angst! Vielleicht sogar noch extremistisch? Aber in Wirklichkeit sind das einfach denkende, kultivierte Menschen. Und chic? Bis zu einem gewissen Grad freut einen das ja sogar, wenn das heißt gebildet, sagen wir, mit Charakter. Ich lade Salvini ein, sich hier ein Bild davon zu machen, wie sehr Capalbio links ist oder ‚radical chic‘ oder wie auch immer er das definiert.“
Verlangen nach Rückkehr zum einstigen Wohlstand
Capalbio ist von der großen Krise nicht verschont geblieben. Capalbio ist Italien. Es gibt das Verlangen nach einem Wandel oder auch nur einer Rückkehr zum einstigen Wohlstand. Offensichtlich haben wir in Capalbio Probleme damit, zu akzeptieren, also die Dinge zu akzeptieren, die diese nationale Krise mit sich bringt.
Keine Flüchtlinge nah am eigenen Ferienhaus
Der PD hat wohl einfach den Kontakt zu den Menschen verloren und stürzt deshalb ab. Während die Rechte, vor allem die Lega, zu ihnen hinabgestiegen ist und den Italienern die Zuversicht gegeben hat, die sie wollen. In Capalbio wurde vieles verschlafen, die Linke ist abgehoben und hat sich arrogant verhalten und das hat sie zum Absturz gebracht.
Das Dilemma der Fünf-Sterne-Bewegung
Zingaretti ist im Moment sehr schwach. Auch weil er kein starkes Charisma hat. Zingaretti versucht, die klassische Politik des PD zu konservieren, da kommt nichts Neues. Der PD versucht schlicht zu überleben, auf bessere Zeiten wartend, wahrscheinlich auf das Scheitern der Populisten.
Statt „Onestá“ vor allem Chaos
Das wird alles nicht mal mehr als Problem gesehen. Die Probleme mit dem Verkehr, der öffentlichen Verwaltung, der parkenden Autos – in dieser Atmosphäre leben die Römer, ohne dass ihnen mal jemand sagt, dass das gar nicht normal ist.
Kriminelle Energie gibt es auch, aber das sind vor allem erst mal Leute, die vollkommen unfähig sind. Da sind mir die korrupten lieber. Denn das Problem mit den Dummen ist, dass das nicht strafbar ist. Auf Idiotie steht keine Strafe. Und die richten dann Schaden an für Jahre.
Cinque Stelle „wie ein Chamäleon“
Die Fünf-Sterne-Bewegung ist eine sehr viel komplexere Partei. Ihr Thema ist die direkte Demokratie und deshalb hat sie kein klassisches Parteiprogramm. Und so sind sie mal rechts, mal links, mal politisch in der Mitte, mal euroskeptisch, aber auch proeuropäisch. Pro und Contra Migranten. Wie ein Chamäleon.
Europawahlen elektrisieren nur die Wenigsten
Natürlich gibt es Spannungen und die sind groß. Aber seien wir vorsichtig, denn eine Alternative wäre sehr schwierig. Die Lega müsste eine Regierungskrise kreieren, danach wird es wohl auch keine anderen Mehrheiten geben, dann müsste es Neuwahlen geben. Das wäre wohl erst im Frühjahr. Und dann heißt das noch nicht, dass es dann ein anderes Ergebnis gäbe. Deswegen ist es gut möglich, dass die Regierung weitermacht nach den Wahlen. Nicht weil sie so gut wäre, sondern weil die Alternativen so schwierig sind.